Das Wichtigste in sieben Kapiteln
- Mit der Bahn fährt man saubillig – sofern man kein Auto hat
- Die elementaren Verhaltensmaßregeln
- Stellen Sie Ihre Expeditionsausrüstung
zweckdienlich zusammen
- Internationaler St. Bürokratius
- ...und das Positive?
- Ein heißer Tip
- Das neue Tarifsystem: Es kann nur schlechter werden
14.02.05: Dies wird die letzte Aktualisierung dieser Seite.
Einmal ist wohl alles Wesentliche geschrieben, zudem habe ich das
Kapitel für mich weitgehend abgeschlossen: Mein Masochismus ist erschöpft,
ich fahre mittlerweile fast ausschließlich Auto oder Fahrrad. Die Bahn
ist so am Ende, dass man sich wünscht, sie wäre wie die
DDR-Betriebe abgewickelt worden. Letztes Beispiel, erlebt am 12.02.05 ab 19:30h
in München:
- Wir sind gerade aus dem Urlaub zurück und warten im Flughafen auf unser
Gepäck. Da kommt eine Durchsage: "Wegen einer Betriebsstörung fährt gegenwärtig
die S-Bahn nicht. Bitte benutzen Sie die Busse..."
- Außerhalb des Sicherheitsbereichs gehen wir zur Information, wo denn jetzt
die Busse fahren: Die S-Bahn fährt wieder, das war aber keine Durchsage wert.
- Die erste S-Bahn, die kommt, gehört tatsächlich zur richtigen Linie.
Sie fährt auch mit nur 5 min Verspätung ab.
- Kurz vor dem Ostbahnhof: "Dieser Zug endet am Ostbahnhof..."
zum Glück müssen wir da sowieso umsteigen.
- Am Bahnsteig die Ansage: "Der nächste Zug zur Innenstadt steht am Gleis X.
Der Zug gehört zur Linie Y, die Anzeige am Bahnsteig ist falsch. Die Anzeige
ist defekt."
Zum Glück betraf uns diese Serie aus Pech und Pannen nicht.
Sie bestärkte mich aber in meiner Entscheidung, mit diesem Chaosunternehmen
nur noch im äußersten Notfall Geschäfte zu machen.
Der folgende Text ist die Quintessenz aus meinen Erfahrungen
von weit über einer Million Bahnkilometern im Lauf von rund 30 Jahren.
Einige Aussagen sind bewußt spitz formuliert – die zugrunde liegenden
Tatsachen stammen aber vollständig aus eigener, leidvoller Erfahrung.
1. Mit der Bahn fährt man saubillig –
sofern man kein Auto hat
Die Deutsche Bahn AG verkauft ihre
Leistung in der 2. Klasse für 0,05 – 0,15 EUR/km. Bei einer Vollkostenkalkulation
kostet der Autokilometer ein Vielfaches davon. Ganz offensichtlich
ist diese Tatsache ganz tief im kollektiven Wissen der Bahnmitarbeiter
verankert. Wie anders als mit der Philosophie eines Billigheimers
läßt sich eine so miese Behandlung der Kunden dem eigenen Spiegelbild
gegenüber rechtfertigen? Dazu später mehr.
Allerdings hat diese Preiskalkulation ein paar gewaltige Haken:
- Das ganze Wolkenkuckucksheim funktioniert nur so lange,
wie man seine Mobilität komplett ohne Auto sicherstellen
kann. Sobald ein Auto vor der Tür steht, wird man gerade bei
Fernreisen eine Grenzkostenkalkulation machen: Die Reifen
werden sowieso spröde, ehe das Profil runter ist;
Versicherung oder Steuer muß man auch zahlen, wenn
der Blechhaufen in der Garage steht und der Wertverlust ist größtenteils
von der Fahrleistung unabhängig. Und gegen die
reinen Benzin- und Wartungskosten kann die Bahn ganz einfach
nicht mehr anstinken. Wer also ein Auto besitzt und trotzdem
mit der Bahn fährt, hat entweder spezielle Gesichtspunkte
(Hotelprobleme auf der CeBIT) oder ist optimistischer
Masochist.
- Es gibt Autovermietungen, bei denen
bekommt man ein Auto
über das ganze Wochenende für 50 EUR. Dazu kommen dann vielleicht
noch 50 EUR Sprit – wo sind die Bahntarife noch eine Alternative?
Im Bereich bis vielleicht 250 km
läßt sich gerade noch über das "Schöne Wochenende" reden,
wenn die ganze Familie für 28 EUR den ganzen Tag fahren kann.
Aber vermeiden Sie die Einfalltrassen von Massenveranstaltungen
wie Fußballspielen oder dem Oktoberfest:
Das artet zu einem Alptraum mit überfüllten, verdreckten
Zügen aus – Alkoholexzesse eingeschlossen.
Aber da wirkt mittlerweile eine spezielle Kundenabwimmelmethode
der (angeblich ehemaligen) Behörde: Weil zu viele Leute die Bahn
benutzten, wurde der Preis kurzerhand von 21 auf 28 EUR erhöht -
mal abgesehen davon, daß diese Fahrkartenart ursprünglich das ganze
Wochenende galt und nicht nur einen Tag.
- Je mehr die Bahn den Regionalverkehr ausdünnt, um so seltener
kommt man mit öffentlichen Verkehrsmitteln in akzeptabler
Zeit ans Ziel. Schnell wird die Kalkulation durch 50 EUR
Taxikosten verdorben.
- Auf so mancher Strecke sind die Fahrzeiten völlig
indiskutabel. Ein paar Strecken wurden und werden noch
beschleunigt, Frankfurt – Köln ist jetzt 80 min schneller.
Aber es gibt immer noch genügend Bummelstrecken. Das Thema miese Anschlüsse
diskutiere ich lieber überhaupt nicht erst an...
- Ganz schlimm wird es, wenn man an feste Termine gebunden
ist – im Mittel muß man selbst auf den ICE eine halbe
Stunde warten.
2. Die elementaren Verhaltensmaßregeln
Das folgende werden Sie kaum am Fahrkartenschalter erfahren:
- Belästigen Sie niemals das Begleitpersonal!
Viele altgediente Zugbegleiter sind noch Beamte,
die offensichtlich den Obrigkeitsstaat mit der Muttermilch
eingesogen haben. Aber Kasernenhofton werden Sie auch
von bedeutend jüngerem Personal zu hören bekommen:
Personalwechsel – die Fahrausweise vorzeigen!
Wenn Sie bei diesen Leuten Beschwerden loswerden wollen,
müssen Sie ausgesprochen starke Nerven haben.
Im besten Fall erhalten Sie die Gunst einer Visitenkarte,
damit Sie sich bei der vorgesetzten Dienststelle beschweren
können. Das bringt aber erfahrungsgemäß nicht mehr
als einen nichtssagenden Brief.
Bedeutend wirkungsvoller wäre ein vom Schuldigen handgeschriebener
Entschuldigungsbrief, an dem ein Gutschein über 100 EUR hängt.
Ich habe aber auch schon die Aussage erlebt: Wenn Sie mir
Visitenkarten drucken, dann gebe ich Ihnen auch eine!
- Speziell wenn Sie einen Termin zu erreichen haben
oder einen Abendzug benutzen: Kalkulieren Sie nur mit
Umsteigezeiten von mindestens 30 min! Ich bin schon
mal früh um fünf statt um Mitternacht angekommen, fuhr
für 200 DM mit dem Taxi zum Flughafen oder mietete einen Wagen,
weil der Anschluß trotzdem weg war. Glauben Sie nicht,
daß Sie einen Rechtsanspruch auf Ersatz Ihrer zusätzlichen
Kosten hätten! Da ist eine Bestimmung vor, die fast wörtlich
noch aus Kaisers Zeiten stammt. Damals hatte die Bahn als
Monopolbetrieb aber noch die Pflicht, ihre Verkehrsleistungen
pünktlich zu erbringen.
- Holen Sie Ihre Fahrkarte am Automaten oder kalkulieren Sie
mindestens 30 min Wartezeit am Schalter ein! Ja, manchmal
ist der Expreßschalter tatsächlich frei. Aber fünf Opas können
selbst in einem größeren Bahnhof sämtliche besetzten Schalter
für 20 min lahmlegen. Hier hilft Ihnen aber nicht die mittlere
Wartezeit weiter, der Zug wartet nicht auf Sie.
- Es gibt eine einzige Methode sicherzustellen, daß ein Zug
pünktlich abfährt: Kommen Sie 2 min zu spät an den Bahnsteig.
Das gilt ganz besonders beim Umsteigen vom Fern-
in einen Regionalzug. In den meisten Fällen ist das Einhalten
eines Verbundfahrplans ganz offensichtlich wichtiger als
der Anschluß vom ICE.
- Steigen Sie nicht vom IC/ICE in den Interregio um!
Der Intercity verkehrt meist im Stundentakt,
der Interregio gewöhnlich im Zweistundentakt. Eigentlich wäre es z.B. ganz
praktisch, von Süddeutschland ins östliche Ruhrgebiet über
Kassel zu fahren – aber auch fahrplanmäßig 25 min Übergang
garantieren nicht, daß der Interregio auch nur 10 min
auf den ICE wartet. Wenn gerade Mittag ist, können Sie dann
in aller Ruhe für zwei Stunden oberhessische Spezialitäten
genießen...
Hinweis: Seit dem 15. Dezember 2002 gibt es formal keinen
Interregio mehr. Der faktische Unterschied ist nur, daß diese Züge
jetzt Intercity-Zuschlag kosten. Sie halten aber weiter
an jedem größeren Misthaufen, so alle 20 km.
- Rechnen Sie mit speziellen Aspekten der Interaktion
in engen, abgeschlossenen Räumen. Speziell Freitag und
Sonntag sind viele Züge völlig überfüllt.
- Vergessen Sie Ihre Expeditionsausrüstung für die
Deutsche Bahn AG nicht! Sie können diese Ausrüstung je nach
Schwierigkeitsgrad Ihrer Expedition abstufen, aber verzichtbar
ist die Ausrüstung nur bei Fahrten bis zu etwa 1 h
ohne Umsteigen. Details s.u.
3. Stellen Sie Ihre Expeditionsausrüstung zweckdienlich zusammen
Die Deutsche Servicewüste ist ein weites, wildes, beschwerliches Land.
Sie wissen nie, wann und wo Sie ankommen werden – speziell wenn
Sie sich auf das Abenteuer des Umsteigens einlassen. In jahrelangen
Experimenten fand ich zu folgender Zusammenstellung:
- Mindestens 0,5 l Wasser, am besten Leitungswasser.
Schäumende Getränke ergießen sich vorzugsweise über die Kleidung
der Nachbarn, denn selbst im ICE werden Sie kräftig
durchgeschüttelt: Entweder sind die alten Strecken so uneben
oder der ICE jagt mit 260 km/h über die Schnellbahntrasse,
um doch noch etwas Verspätung aufzuholen; der ICE kann
die Strecke Würzburg-Nürnberg statt in 55 min auch in 40 min
bewältigen – fragen Sie aber nicht nach dem Geschaukel zwischen Kitzingen
und Neustadt/Aisch bei Tempo 200!
Zu trinken brauchen Sie, speziell in Zügen mit Klimaanlagen, denn da
kriegen Sie kein Fenster mehr auf. Das ist garantiert,
die ordnungsgemäße Funktion der Klimaanlage aber nicht.
Besonders berüchtigt sind da bestimmte rote Regionalzüge
zwischen Frankfurt/M. und Nürnberg,
die auf den treffenden Namen Puma hören.
Da baden Sie (im eigenen Schweiß) die Subventionspolitik nach der
deutschen Wiedervereinigung aus: Die Profis in Nürnberg verloren
ihren Job, den die Anfänger in Henningsdorf usw. übernahmen.
Die Steuerelektronik unmittelbar neben den
Fahrstromtransformator zu installieren ist eindeutig ein Anfängerfehler.
- Lesestoff, CD-Spieler usw. Sie wissen nie, ob sie mal
drei Stunden auf freier Strecke warten. Bahnstrecken sind
beliebte Ziele von Selbstmördern und dann dauert es
mindestens zwei Stunden, bis der Staatsanwalt die Strecke wieder
freigibt. Eine weitere Stunde dauert es dann, einen neuen
Fahrer ranzuschaffen oder eine Diesellok vor den Intercity
zu spannen – weil kein Personal mit der passenden Ausbildung
für die Lok aufzutreiben ist.
- Verpflegung. Selbst wenn alle zwei Stunden ein Wägelchen
mit einem laut rufenden Verkäufer vorbeikommt: Wie soll löslicher
Kaffee schmecken, wenn das "heiße" Wasser schon seit vier Stunden
in der Thermoskanne stand? Ähnliches gilt für eine Stulle,
die notdürftig verpackt schon 500 km Bahnfahrt in praller Sonne
hinter sich hat.
Ganz nebenbei ist das Angebot hemmungslos überteuert.
Und der Speisewagen? Den schafft die Deutsche Bahn AG gerade ab.
- Ein Kasten (vorzugsweise fränkisches) Bier und ein
Schlafsack. Diesem Teil der Expeditionsausrüstung verdanke
ich, daß ich vor ein paar Jahren eine Fahrt an Himmelfahrt
von Nürnberg nach Wien überstand; ansonsten hätte ich von
Nürnberg bis Linz drei Stunden stehen müssen: Man begebe sich
nach ganz hinten im Zug, so daß man auf die Strecke sehen kann.
Dann stelle man den Bierkasten hochkant neben der WC-Tür an
die Wand und lege den Schlafsack als Sitzkissen darauf.
Ach ja, warum ausdrücklich fränkisches Bier? Welcher Saft hat
die nötige Qualität, daß er auch ohne Schockgefrieren der
Geschmacksnerven noch trinkbar ist? :-)
Verzichten Sie bei Ihrer Expeditionsausrüstung auf Komponenten,
die irgendwelche Infrastruktur erfordern: Nur in Ausnahmefällen
werden Sie einem Platz mit Tisch ergattern, Steckdosen gibt es
vorzugsweise in Raucherabteilen, Handys funktionieren auf wesentlichen
Teiles des Streckennetzes (selbst mitten im Ruhrgebiet) nicht und Radiohören
ist sowieso stark behindert – speziell im ICE: Die Fensterscheiben sind mit dünnen
Metallschichten bedampft, was gerade noch in Städten
lokale UKW-Sender durchläßt. Mittel- oder Kurzwellenempfang versinkt
im Elektrosmog, der in einem elektrisch angetriebenen Zug
unvermeidbar ist. Ich weiß: Kopfhörer mit den üblichen 3,5 mm-Steckern
kann man an jedem Sitz einstöpseln und aus acht Programmen wählen.
Bloß sind zwei der Programme der Filmton, zu dem es am Zugende
im Raucherwagen auch Bildschirme gibt, 1-2 sind Kinderhörspiele
und der Rest bordeigene oder regionale, ständig wechselnde Dudelprogramme -
absolut nix für meinereiner.
Das Thema Steckdosen hat regelrecht kommunikative Seiten: Im ICE 1 gab es
ursprünglich nur welche in den Kopfwagen, daher der Hinweis auf die Raucherabteile
oben. Mittlerweile werden welche nachgerüstet, in den Widerlagern der Tische in der 2.
Klasse. Diese Steckdosen sind nicht nur beim Aufenthalt in bestimmten Bahnhöfen ohne
Strom, sondern fallen auch recht gerne aus. Mit etwas Glück funktioniert die Steckdose am
Nachbartisch und die Mitreisenden lassen einen eine Strippe ziehen. Ich sah schon
Computerbenutzer ihre Mehrfach-Steckdosen auspacken oder hatte Gegenüber mit
1.-Klasse-Fahrschein.
4. Internationaler St. Bürokratius
Eine einmalige Spitzenleistung erlebte ich im April 2002,
als ich von München nach Zürich fahren wollte: Am Automaten konnte ich
keine Fahrkarte nach Zürich bekommen und 15 min sind eindeutig zu wenig,
um auf einem Provinzbahnhof wie München Hbf. im "Reisezentrum" eine Fahrkarte
zu bekommen (s.o.). Also in den Zug gehechelt und darauf gewartet,
was denn da auf mich zu kommt.
Die positive Seite: Der Zugbegleiter war ausgesprochen kräftig und ganz
ungewohnt gut drauf – er konnte sich bei einem Kind sogar danach erkundigen,
ob die Gummibärchen denn auch gut schmeckten. Zugbegleiterinnen können auf dieser
Strecke eindeutig nicht eingesetzt werden, weil die Armen eine dreifache
Ausrüstung mit sich herumschleppen müssen: Für die Deutsche Bahn AG
(München – Lindau), die Österreichische Bundesbahn (Lindau – St. Margarethen)
und die Schweizer Bundesbahn (St. Margarethen – Zürich HB). Insgesamt bekam
ich für eine Hin- und Rückfahrt 9 Belege auf drei unterschiedlich farbigen
Streifen.
5. ...und das Positive?
Irgendwas muß am Bahnfahren ja dran sein, sonst würde ich es
nicht immer noch tun. Der zentrale Punkt ist sicher, daß ich noch
nie ein eigenes Auto besaß. Wenn ich einen Wagen brauche, dann
komme ich zu einem; meine ersten 100.000 km am Steuer
habe ich auch schon lange hinter mir.
Aber es gibt durchaus mehr positive Seiten:
- Niemand regt sich über die rund 7.000 Toten auf,
die der Straßenverkehr jedes Jahr in Deutschland fordert.
Ein Massenverkehrsmittel hat aber nun mal die Eigenheit,
daß es ggf. gleich richtig kracht. Aber nicht nur absolut,
auch auf die Personenkilometer bezogen, ist die Bahn
bedeutend sicherer als das Auto.
- Zugfahren ist bedeutend kommunikativer als Autofahren.
Auch habe ich im Zug schon so manche Stunde gearbeitet.
Zudem empfinde ich es als ausgesprochen nervtötend,
stundenlang auf den Asphalt starren zu müssen und mich nicht
bewegen zu können.
- Wenn ich einen angenehmen Abend im Freundeskreis verbringe,
trinke ich schon mal ein paar Glas Wein oder Bier.
Eine Autofahrt könnte ich dann nicht mehr verantworten.
- Wenn man nicht gerade im ICE mit 250 km/h unterwegs ist,
ist die Umweltbelastung bedeutend geringer als beim Auto.
6. Ein heißer Tip
Wenn Sie sich überhaupt auf öffentlichen Personenverkehr einlassen,
dann ist die Website der Bahn, http://www.bahn.de
absolut unverzichtbar: Geben Sie irgendeine Startadresse und irgendeine
Zieladresse irgendwo in Deutschland an und in Sekunden haben Sie Ihre
Verbindung. Ich fand noch keinen Bus, der da nicht bekannt wäre!
Wie man das viel schlechter machen kann, können Sie
bei der französischen Bahn
studieren: Suchen Sie da mal den einzigen Zug, der von Straßburg (Strasbourg) nach
Montpellier durchfährt – Sie suchen sich einen Wolf.
7. Das neue Tarifsystem: Es kann nur schlechter werden
Am 15. Dezember 2002 führte die Deutsche Bahn AG ein komplett neues Tarifsystem
ein.
Schon der Termin war optimal: Der Weihnachtsverkehr war bislang offensichtlich
noch nicht chaotisch genug, also muß man das noch kräftig würzen. Ich vermied es,
in den letzten drei Wochen des Jahres 2002 ein "Reisezentrum" (Schalterhalle)
zu betreten. Den Journalisten war das Thema jedenfalls so manchen kritischen
Bericht wert – die Leser dieser Seite kannten so manches daraus schon ein paar
Monate früher.
Die wichtigste Quintessenz:
Die Bahn wird teuerer und unflexibler – auf jeden Fall für die Mehrheit ihrer
Stammkunden. Die Bahncard bringt nur noch 25% Ermäßigung.
Wer mehr Ermäßigung haben will, muß sich mindestens eine Woche vorher festlegen,
mit welchen Zügen er oder sie fahren will – nur da gilt die Fahrkarte.
Übrigens gibt es diese "Ermäßigungen bis 75%" nur für Rückfahrkarten
und nur in beschränkten Kontingenten. Da werden sich noch so einige
Leute wundern, wenn Sie eine Woche vor Feiertagen eine verbilligte Karte
kaufen wollen...
Warnung
Kontrollieren Sie Ihre an eine bestimmte Verbindung
gebundene Fahrkarte sofort und sehr gründlich: Selbst wenn Sie anhand
des Verbindungsnachweises beweisen können, daß Sie eine falsche Fahrkarte
ausgehändigt bekamen, geht der Fehler des Fahrkartenverkäufers zu Ihren Lasten.
Wie die ZDF-Sendung Frontal24 am 22.04.03 dokumentierte, ließen Zugbegleiter
deshalb schon Fahr"gäste" vom Bundesgrenzschutz kostenpflichtig aus dem Zug
werfen.
Dagegen verblaßt selbst die Tatsache, daß die überwiegende Mehrheit der
ausgestellten Fahrkarten eindeutig überteuert ist. Die Stiftung Warentest
dokumentierte, daß auch auf hartnäckige Nachfrage nach der billigsten Verbindung
schon Karten zum Doppelten des eigentlich fälligen Preises verkauft wurden.
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Für die Neubaustrecke Frankturt/M. – Köln verlangte die Bahn schon vor der
Tarifumstellung am 15.12.2002 14 EUR Zuschlag gegenüber der viel längeren
Rheinstrecke, was sie in ihren eigenen Informationen als das künftige Preisniveau
ankündigte – irgendwie müssen schließlich die eine Milliarde Euro wieder reinkommen,
die man durch Fehlplanungen bei der Stecke zum Fenster rausgeworfen hat.
Einen besonderen Brüller lieferte Bahnchef Mehdorn selber, als er am
15. Oktober 2002 das neue Tarifsystem vor der Presse erläuterte: Wer seinen Zug
versäumt, kann seine verbilligte Fahrkarte gleich wegwerfen,
weil er beim Umbuchen bis zu 45 EUR Gebühren zahlen muß. Die Stornogebühr
ist teilweise höher als der Preis der Karte.
Mehdorn versuchte gar nicht erst, die 45 EUR mit Kosten zu begründen: Die Bahn will
damit verhindern, daß Geschäftemacher die verbilligten Fahrkarten
auf Verdacht kaufen, um sie dann Gewinn bringend weiter zu verkaufen.
Anders ausgedrückt: Er weiß, daß das neue Tarifsystem grundsätzliche Webfehler hat,
die man aber Gewinn bringend und auf Kosten der "Kunden" ausbügeln will.
Für dieses Tarifsystem hat die Bahn 100 Millionen Euro ausgegeben...
Um mit einem konstruktiven Gedanken abzuschließen: Wie könnte ein sinnvolles
Tarifsystem aussehen? Ich habe Verständnis dafür, daß die Bahn die
Verkehrsströme mit Hilfe der Tarife entzerren möchte und folglich für ein und dieselbe
Strecke zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedliche Tarife verwendet. Aber wie
wär's mit dem Ansatz: Du zahlst die 400 teuersten km Deiner Strecke, aber den Rest
erlassen wir Dir als Schmerzensgeld für die Blasen am Hinterteil. Damit wäre etwa
die Strecke Nürnberg – Hannover zur Hauptverkehrszeit teuerer als eine
Tagesrandverbindung von München nach Hamburg. Aber den Reisenden auf einen ganz
bestimmten Zug festzulegen und so den Flexibilitätsvorsprung des Autos mutwillig weiter
auszubauen, ist ganz sicher der falsche Weg.
Eine ganz andere Frage ist, ob die Bahn an allen Problemen selbst schuld ist:
So lange der Flugverkehr weitgehend steuerfrei ist und die Flughäfen als
"Infrastrukturmaßnahme" von den Politikern finanziert werden, muß die Bahn
ganz klar mit Benachteiligungen leben. Das ist aber ihr Problem; ich suche mir
das Angebot heraus, das meinen Bedürfnissen am besten entspricht.
Im Januar 2003 erzielte die Bahn bei den Fernzügen 13,8 % weniger Umsatz als ein
Jahr zuvor – geplant war eine Steigerung von 9-10 %.
Bahn-Chef Mehdorn kann (in einem Spiegel-Interview,
Ausgabe 14/03) nur noch wild um sich schlagen, indem er der Stiftung Warentest
bei ihren im Kasten erwähnten Untersuchungen
"schwere methodische Fehler" vorwirft, den Verband "Pro Bahn" als "Pro Mecker"
verunglimpft und die Grünen beschimpft – ausgerechnet diejenigen, die der Bahn
am intensivsten helfen wollen – sofern Kanzler und Bahnvorstand sie denn ließen.
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