Wir können die erneuerbaren Energien nicht über 20% der installierten Leistung ausbauen,
weil sonst das Netz unstabil wird.
So, wie diese Behauptung z.B. vom Bundes-Umweltminister Altmaier aufgestellt wird, ist sie eindeutig falsch
[30].
Korrekt formuliert müsste sie lauten: Wenn im westeuropäischen Verbundnetz mehr als 20% der installierten Leistung
zu den regenerativen Energien gehört, müssen sich die regenerativen Energien an der Regelenergie beteiligen -
wie die anderen Erzeuger auch.
Das Thema ist nicht trivial, eignet sich also gut für bewusste Verkürzungen - siehe Überschrift. Das Stromnetz selbst
kann keine nennenswerten Energiemengen speichern. Erzeugung und Verbrauch müssen also in jedem Augenblick im
Gleichgewicht sein. Den Augenblick sollte man dabei ziemlich wörtlich nehmen:
- Vorgänge im Bereich einer tausenstel Sekunde oder so bleiben auf einen Netzabschnitt beschränkt. So schnell
können sich die Strome in den vielen Induktivitäten, vor allem den Transformatoren, überhaupt nicht ändern.
Genau deshalb nutzen so genannte Rundsteueranlagen Frequenzen im 100-Hz-Bereich, um Steuersignale
innerhalb eines bestimmten Mittel- oder Niederspannungsnetzes zu verteilen.
- Schwankungen im Bereich von Sekunden fangen traditionell die rotierenden Massen auf. Dieser Begriff ist
wörtlich zu nehmen: Alle Generatoren und Motoren im westeuropäischen Verbundnetz, die an alle drei Phasen des
Drehstromnetzes angeschlossen sind, laufen synchron - nur Asynchronmotoren laufen etwas langsamer.
Steigt plötzlich der Stromverbrauch oder sinkt plötzlich die Erzeugung ab, so sinkt die Netzfrequenz. Entsprechend
bremsen alle angeschlossenen Motoren und Generatoren. Die Motoren nehmen also kurzfristig weniger Leistung auf
oder geben gar Leistung ab.
- Innerhalb von 30 s aktivieren passend ausgerüstete Kraftwerke ihre Regelenergie. Dazu öffnen oder schließen
sie Ventile mit dem Ergebnis, dass mehr elektrische Leistung heraus kommt. Entsprechend können sie auch ihre
Leistung reduzieren. Das können sie aber nur für eine Zeit im Minutenbereich.
- Innerhalb von 15 min oder so können viele Kraftwerke ihre Leistung durch Ändern der Brennstoffzufuhr oder so
ändern und so das Netz langfristig stabilisieren. Innerhalb von Stunden können Kraftwerke der Warmreserve
hochgefahren werden.
Regelenergie ist teuer, auch wenn sie gerade nicht genutzt wird: Dampfkraftwerke laufen deshalb mit
angezogener Handbremse, d.h. die Dampfventile vor den Turbinen werden nicht völlig geöffnet. Das passiert erst
in dem Augenblick, in dem die Regelenergie gebraucht wird. In letzter Zeit drosselt man im Ernstfall den Eigenbedarf
des Kraftwerks, indem man die Speisewasser-Vorwärmung drosselt. Die 250 kg Dampf pro Sekunde
eines 1-GW-Blocks müssen aber irgendwo her kommen und der Speisewasserbehälter kann nicht beliebig groß sein. Das ist
sowieso schon eines der größten Bauteile eines Dampfkraftwerks.
Die nächste Verkürzung in der Überschrift ist, dass es kein deutsches Inselnetz gibt. Wir sind Teil des
westeuropäischen Verbundnetzes. Und zum Jahreswechsel 2012/13 gab es in diesem Netz nur etwa 7% regenerative Energien.
Zudem lässt sich ein Teil der Regenerativen Energien hervorragend regeln, mann müsste es nur tun:
- Wasserkraftwerke haben sowieso Ventile. Die müsste man nur abhängig von der Netzfrequenz auf- und zudrehen.
Natürlich hat das bei einem Fließwasserkraftwerk enge Grenzen - man kann schließlich den Pegel in einem Fluss
nicht beliebig absenken oder steigen lassen. Aber für 5% Regelenergie über 15 min reicht das wohl allemal.
- Biogasanlagen besitzen meist einen Gastank. Auch da könnte man zwischendurch mal Gas geben.
- Auch Wärme-Kraft-Kopplung bietet das Potential, Regelenergie bereitzustellen: Wärme lässt sich recht leicht
speichern, entsprechende Speicher werden sowieso benötigt. Schließlich kann ein Kraftwerk auch im Winter mal
ausfallen, was das Fernwärmenetz nicht lahmlegen darf. Also kann man die Wärmeauskopplung mal für eine Zeit
reduzieren, um die elektrische Ausgangsleistung zu erhöhen. Das gilt wohl für alle Dampfkraftwerke, die
(Fern-) Wärme auskoppeln und in geringerem Maß für GuD-Kraftwerke. Dafür kann man dort die Gasturbine meist noch
etwas hochfahren.
Bei Windenergie- und Fotovoltaikanlagen ist das Thema deutlich aufwändiger, weil hier die elektrische Energie über
Leistungselektronik bereitgestellt wird: Fotovoltaik liefert Gleichstrom und die Drehzahl von Windkraftanlagen folgt
eigenen Regeln. Hier gibt es also weder rotierende Massen noch die Möglichkeit, die Leistung zu beliebigen Zeitpunkten
zu erhöhen. Gegen ein Drosseln von dieser Anlagen, wie bei Dampfkraftwerken üblich, geht natürlich die ganze Branche
auf die Palmen. Das werden sie sich abgewöhnen oder alternative Maßnahmen ergreifen müssen.
Solch alternative Maßnahmen müssen nicht so extrem teuer sein, wenn man sie von Anfang an in die Anlage
einplant. Fotovoltaik-Anlagen liefern Gleichstrom, der direkt in Batterien eingespeist werden könnte. Diese
Energiereserve könnte der Betreiber nutzen, um den künftig geforderten Eigenverbrauch auch nachts tätigen zu können.
Oder die Netzbetreiber kaufen diese Reseven bei Bedarf für viel Geld als Regelenergie. Ganz nebenbei könnte so die
Leistungselektronik zur Netzeinspeisung kleiner ausgelegt werden: Die Leistungsspitzen am Mittag übernimmt die
Batterie.
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